Gnade der seelischen Beheimatung: Ein Zuhause haben in Gott

Das Drama der heutigen Zeit ist nicht die Beschleunigung des Lebens, die neuen Herausforderungen, die es uns stellt, die Härte des Alltagslebens. Das eigentliche Drama ist das Fehlen transzendenter Werte, die Halt geben. Das Drama ist die seelische Entwurzelung, die unzählige geistige Nomaden schafft, Vagabunden, Menschen, die seelisch umherirren ohne Woher und Wohin. Es ist das Fehlen von Stabilität und Konsistenz personaler Bindungen. Von Bindungen an Orte und Traditionen. Es fehlt die Beheimatung, die Geborgenheit der Seele, das Zuhause in Gott. Weil der Mensch Geschöpf ist, fehlt ihm eine letzte Sicherheit in sich selbst, er ist ein unsicheres Wesen, ein Sein in Gefahr. Niemand kann dieser Dimension menschlichen Seins ausweichen. Sicher, es gibt unzählige Formen, daraus zu fliehen, aber eine letztendliche Flucht ist unmöglich. Wenn wir von Gott geschaffen sind, dann ist Gott unser letztes Ziel, wenn wir von ihm kommen und zu ihm gehen, gibt es keine andere Sicherheit als die der radikalen Hingabe an ihn. Unsere tiefste Seinsdimension ist die des Kindes. Ein Kind findet nur Frieden, wenn es bei Vater und Mutter ist. Das erst macht es fähig zur Begegnung mit den Geschwistern. Christsein bedeutet im Tiefsten, in Christus Kind des Vaters zu sein: Seht, welche Liebe der Vater euch erwiesen hat, dass wir Kinder Gottes heißen, denn wir sind es … Christsein heißt, den Heiligen Geist empfangen zu haben: „Denn ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so dass ihr euch immer noch fürchten müsstet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater! So bezeugt der Geist selber unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind.“ (Röm 8, 15-16).

Christ ist, wer die Menschen als Geschwister sieht. Christsein heißt, die Erfahrung haben, eine Geschichte mitzuschreiben, die Heilsgeschichte ist und in der Ewigkeit gipfelt. Die Begegnung mit Maria im Heiligtum ist vor allem eine Begegnung eines Kindes mit seiner Mutter. Es ist die Erfahrung, geborgen, angenommen und erhoben zu werden. In meiner ganzen Wirklichkeit, mit meinen Licht- und Schattenseiten, meinen Erfolgen und Misserfolgen, mit dem Guten und dem Bösen in mir. Im Heiligtum erlebe ich mich geborgen, fühle mich wohl. „Alle, die hierher kommen um zu beten, sollen die Herrlichkeiten Mariens erfahren und bekennen: Hier ist wohl sein. Hier wollen wir Hütten bauen, hier soll unser Lieblingsplätzchen sein.“ (Gründungsurkunde, 7).

Kein Kind wird mit Worten erklären können, was die Mutter für es bedeutet. Viel weniger können wir es, wenn es sich um Maria, die Mutter Gottes und unsere Mutter handelt. Sie hat ein geheimnisvolles mütterliches Charisma – außergewöhnlich, universal, einzigartig. Wie es im Abschlussdokument von Puebla heißt: „Maria, die Mutter, erweckt das kindliche Herz, das in jedem Menschen schlummert. So führt sie uns zur Entfaltung der Taufgnade, durch die wir Kinder Gottes wurden“ (DP 295). Pater Kentenich formulierte als Gefangener im Konzentrationslager Dachau in schlichten Worten:

„Die Mutter hat mich gütig angenommen,
verpflichtet sich, wie es nur ihr kann frommen
in allen Lebenslagen treu zu sorgen,
bis einstens froh mich grüßt der Ostermorgen.“

Sie ist vor allem Mutter und Königin der Barmherzigkeit. Als solche führt sie uns meisterhaft dazu, unsere Wirklichkeit zu sehen und anzunehmen, unsere ganze Wirklichkeit, das heißt, auch die Geschichte der Sünden und Armseligkeiten unseres Lebens. Sie lässt uns lebensmäßig das Geheimnis Christi erkennen, der gekommen ist, nicht die Gerechten zu suchen, sondern die Sünder. Denken wir an das Zeugnis des heiligen Paulus: „Das Wort ist glaubwürdig und wert, dass man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Von ihnen bin ich der Erste“ (1 Tim 1, 15).

Sie führt uns in Christus immer mehr ins Geheimnis des Vaters und seiner Liebe zu uns. Im Rückgriff auf Gaudium et Spes sagt Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Dives in Misericordia, 1: »Christus, der neue Adam, macht … dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung«, und er tut dies eben »in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe«. Maria führt uns dazu, das Geheimnis der barmherzigen Liebe des Vatergottes zu uns, zu jedem Einzelnen von uns, zu entdecken.

Diese Wirklichkeit ist Grundlage der Barmherzigkeit gegenüber dem Nächsten, die sich im Alltag in ganz konkreten Haltungen zeigt: Geduld, Bereitschaft zum Verzeihen, lebendige Hoffnung auf die Bekehrung des Sünders, nicht verurteilen, um nicht verurteilt zu werden. Sie, die als gute Mutter sich in der mütterlichen Liebe zu ihren Kindern nicht übertreffen lässt, hat immer eine Vorliebe für die Schwächsten, die Bedürftigsten, die Ärmsten. Sie lehrt uns, dass die Beheimatung in Gott aus der Suche nach seinem Willen und dessen Umsetzung in die Praxis kommt. Wenn für uns wie für Christus der Wille des Vaters Norm des Lebens ist, dann sind wir in seinem Herzen geborgen wie er. „Er, der mich gesandt hat, lässt mich nie allein, weil ich stets tue, was ihm gefällt“ (Joh 8,29). Die Gottesmutter Maria musste in ihrem Leben manche Rauheit erleiden und überstehen, aber sie lebte geborgen und sicher im Willen des Vaters: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1, 38).

Das Leben vieler Schönstattkinder ist ein authentisches Zeugnis dafür, dass Unsere Liebe Frau von Schönstatt von ihrem Heiligtum aus diese erste Wallfahrtsgnade in Fülle geschenkt hat – die seelische Beheimatung. Ihre Frucht ist eine wachsende Haltung des Vertrauens (nicht der Angst oder Ängstlichkeit) angesichts des Lebens, des Todes und dessen, was danach kommt. Und so muss es auch sein. Das größte Geschenk, das wir von Gott erhalten haben und die grundlegende Norm christlichen Lebens ist die Liebe.

Gott ist Liebe, sagt Johannes, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm … Angst gibt es nicht in der Liebe, denn die vollkommene Liebe vertreibt die Angst (vgl. 1 Joh 4,16.18). Ein schlichtes, einfaches Gebet von Pater Kentenich fasst die Gnade der Beheimatung zusammen:

„Ich bau auf deine Macht und deine Güte,
vertrau auf sie mit kindlichem Gemüte.
Ich glaub, vertrau in allen Lagen blind
auf dich du Wunderbare, und dein Kind.“