Veröffentlicht am 2015-03-07 In Franziskus - Botschaft

Bergoglio wollte mir kein Interview geben; stattdessen gab er mir etwas Besseres

TIERRAS DE AMERICA/ALETEIA.org.

Im Herbst 2005 traf ich mich mit dem Erzbischof von Buenos Aires, Kardinal Jorge Mario Bergoglio. Als ich ihn anrief, um ihn um ein Interview zu bitten, antwortete er freundlich, aber bestimmt: „Ich würde es vorziehen, ein Interview zu vermeiden, obwohl wir uns auch treffen können, um miteinander zu reden.“

Wir verabredeten uns in einer kirchlichen Pension nahe beim Vatikan, wo der Kardinal später ein Treffen mit einem anderen Bischof hatte. Als ich ankam, erlebte ich meine erste Überraschung – obwohl ich fünfzehn Minuten früher kam, wartete der Kardinal schon in der Diele auf mich. Er las in einem kleinen Buch; es schien das Brevier zu sein.

Sein fester Händedruck und seine Begrüßung waren warm und herzlich. Sein unmittelbares und ehrliches Lächeln strahlten Vertrauen und Begeisterung aus, und für einen Augenblick dachte ich, er würde mir das Interview gewähren.

Am Morgen des 25. Dezember 2014, kurz nach Beendigung seiner Botschaft Urbi et  Orbi, als er die Benediktionsloggia der Basilika verließ, wo er für den Frieden in der Welt gebetet hatte, erhielt ich noch einmal die gleiche warme und herzliche Begrüßung, aber dieses Mal war es von Papst Franziskus.

Der Mann hat sich nicht verändert

An diesem Morgen konnte ich nicht anders, ich musste an 2005 denken, obwohl das andere Umstände waren, und doch erlebte ich ein ungewöhnliches Gefühl, das mir zu denken gab: die  Sendung, zu der er berufen war, hatte sich geändert, aber der Mann  nicht. Außerdem fiel mir ein jüdischer Freund ein – der Papst Franziskus sehr, sehr gern hat -, der oft sagt: „Er ist ein großer Papst und ein großer Priester, denn er ist ein großer Mann.“

Bei unserem beinahe halbstündigen Treffen im Jahr 2005, – ich erinnere mich –, als wir versuchten, unsere beiden Stühle zusammenzurücken, und nachdem wir uns gerade hingesetzt hatten, machte der Kardinal wieder sachte klar, dass er kein Interview wünschte.

Dann kam die zweite Überraschung, denn dann begann er mir viele Fragen zu stellen (die andere Befragte mir während meiner langjährigen Tätigkeit im lateinamerikanischen Programm von Radio Vatikan nur selten gestellt haben).

Er war sehr interessiert an der Person vor ihm, und er fragte mich zum Beispiel, aus welchem lateinamerikanischen Land ich käme? Warum ich in Rom sei? Ob ich verheiratet sei und wie viele Kinder ich habe? Ob meine Eltern noch lebten? Welche Arbeit ich machte?

Er hörte aufmerksam und mit Interesse auf meine etwas kurzen Antworten, und er fragte mich auch, wie alt ich gewesen sei, als meine Eltern starben, und worin genau meine Arbeit bestehe.

Es war klar, dass ich nicht in einen luftleeren Raum hineinsprach. Er war auch interessiert an meiner Gesundheit, scherzte, weil ich sehr dünn war, und dann fügte er hinzu: „Aber Sie wissen, dass viele dünne Menschen gefälschte Magere sind. Ich war lange Zeit auch so eine magere Fälschung“, beendete er lächelnd.

Geruch der Schafe

Plötzlich sah er mich mit großem Ernst an und fragte: „Aber welche Fragen wollten Sie mir stellen?“ Ich erinnere mich, dass ich ihm schnell antwortete: „Viele Fragen, Eure Eminenz, aber vor allem eine … Ich möchte gern, das Sie mir einen Ihrer Ausdrücke erklären, der mich immer fasziniert hat: ‚ Der Hirte soll den Geruch seiner Schafe haben! ‘

Seine Antwort kam unverzüglich: „Es ist etwas, dass ich meinen Priestern oft  sage, denn es sollte ihnen in jedem Augenblick bewusst sein, dass der Herr ihnen den Auftrag gegeben hat, sich um die Herde zu kümmern und sie zu führen. Die Schafe vertrauen nur dann und lassen sich führen, wenn sie in ihrem Hirten erkennen, was sie suchen und was sie brauchen.“

Am 13. März 2013, in einem kurzen Kommentar für Radio Vatikan – zwei Stunden nach der Wahl von Papst Franziskus –, in dem mich ein Kollege interviewte, bezog ich mich auf diese Anekdote und gab die Erklärung seiner Gedanken, die er selbst später, wie allgemein bekannt ist, wiederholt hat und bei verschiedenen Gelegenheiten entwickelt hat.

Als ich vor fast zehn Jahren mit Kardinal Bergoglio sprach  – ich war sicher, er sprach wirklich mit mir, einer unbekannten Person ohne irgendeine Bedeutung oder Titel –  tat er es aufmerksam und mit Achtsamkeit. Sein reger und durchdringender  Blick begleitete seine ausdrucksvollen Handbewegungen.

Während ich ihm zuhörte, hatte ich einen sehr klaren Eindruck, und ich sagte mir: „Er spricht zu mir, und er möchte, dass ich ihm zuhöre, denn er ist überzeugt von der Bedeutung dessen, was er sagt.“

Ich war sehr beeindruckt, denn selten hat eine Person, zu der ich sprach, alle möglichen Anstrengungen unternommen, um sich Gehör zu verschaffen; eine Person, die versucht, während sie dir geradewegs in die Augen schaut, dir ihre Zeit völlig widmet – auch wenn es kurz ist -, mit dem Ziel aufrichtiger Kommunikation, dem Wunsch, die Person, mit der sie im Gespräch ist, zu verstehen und ihr zu erwidern…

Nach einem Hinweis auf das, was er „Götzendienst unserer Zeit“ nannte, sagte er einen Ausdruck, der sehr bedeutsam schien: „Es gibt einen großen Bedarf den Glauben zu erneuern.“ Als ich ihn nach der Bedeutung dieses Ausspruchs fragte, war seine Antwort eindringlich: „Zu Jesus zurückkehren, wie St. Paulus sagt, ‚Besinne dich auf Christus‘. Er ist der Eine, der über allem herrscht, und er tut es vom Kreuz herab. Wenn wir das Kreuz wegnehmen, hat nichts mehr Sinn.“

Als er diese Worte mit Intensität sagte, nahm er ein kleines Holzkreuz aus seiner Tasche und legte es mir in die Hand, er fügte hinzu: „Es ist aus dem Heiligen Land.“

Original Spanisch: Übersetzung: Ursula Sundarp, Dinslaken, Deutschland

Artikel ursprünglich veröffentlicht in Tierras de América

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